Soft Skills wie Empathie wurden in der Arbeitswelt lange wie der eigene Heimtrainer behandelt: Nice-to-have, aber eher Schmuck am Nachthemd. Schließlich gibt’s genügend andere Wege, um zum Ziel zu kommen. Der Fokus lag woanders: auf Zahlen, Daten, Fakten, schnelle Ergebnisse – das Wie und somit der Mensch war da häufig erst einmal zweitrangig.
Aber: Gute, nachhaltig erfolgreiche Führung in Zeiten der Dauerkrise geht anders: weniger fordernd, mehr fördernd. Nicht von oben herab, sondern mehr auf Augenhöhe. Gute Führung muss vor allem in der Lage sein, den Raum zu schaffen, damit ein Netzwerk an Menschen Lösungen schaffen kann. Meine Role Models oder Führungskräfte, die mich beeindruckt haben, taten dies nicht durch ihre fachliche Expertise – sondern durch ihre Fähigkeit, auf unterschiedliche Bedürfnisse einzugehen und ihre Fähigkeit sich in andere hineinzudenken.
Die moderne Führungskraft ist sich der Verantwortung über die eigenen Mitarbeitenden bewusst und unterstützt diese gezielt. In krisengebeulten Zeiten wie diesen ist Empathie nicht mehr länger nur Nice-to-Have, sondern ein essenzieller Skill für Führungskräfte. Noch nie war es so wichtig, Zusammenarbeit zu organisieren und Mitarbeitende zu motivieren – die absolute Triebfeder für Transformation und Veränderung, die in diesen turbodynamischen Zeiten unumgehbar ist. Schaffen kann man das allerdings nur, wenn man weiß, was Mitarbeitende, Partner oder auch Kunden bewegt, wo sie wirklich stehen und was sie als Menschen wollen und fühlen. Alles entscheidend ist somit Empathie.
Was ist Empathie und was hat Joe Biden damit am Hut?
Laut Dorsch, dem Lexikon für Psychologie, ist Empathie die Fähigkeit, Gedanken, Gefühle und Erfahrungen eines anderen zu verstehen bzw. nachzuvollziehen. Zentral ist zudem ein weiterer Aspekt: Empathie als verstehendes Hinterfragen einer Beobachtung. Es läuft dabei alles auf die Frage zu: Warum denkt, fühlt oder verhält sich dieser Mensch, wie er es tut? Ein empathischer Mensch versucht also zu verstehen, was das Gegenüber bewegt und zieht so Rückschlüsse darauf, wie er dieses behandeln sollte.
Erkannt hat man das auch in den USA. Nachdem schon Barack Obama 2006 vom Empathie-Defizit als große Gefahr für die USA sprach, schrieb sich jüngst schließlich Joe Biden das Thema im Wahlkampf auf die Fahne. Sein Wahlsieg wurde gar als „Sieg der Empathie“ gefeiert. Joe Biden weiß, dass Empathie die Kraft hat ganze Gesellschaften wieder zusammenzubringen und den Zusammenhalt zu fördern – in diesen Zeiten so wichtig wie lange nicht mehr. Er weiß auch: Wer keine echte Empathie und kein echtes Mitgefühl aufbringt, wird in unseren Dauerkrisen-Zeiten niemals nachhaltige, wertstiftende Transformation hinbekommen. Aber nicht nur das sind Gründe, warum Empathie so wichtig ist.
Warum Empathie für die Arbeitswelt so wichtig ist
- Alles wird diverser – hinter dieser oberflächlichen, scheinbaren Unterschiedlichkeit liegt die Chance, das Gemeinsame zu betonen, um gemeinsam unsere Zukunft zu gestalten. Besonders wichtig ist es dabei aber auch hier, den Mensch mit all seinen Stärken und Schwächen zu sehen und zu unterstützen. Für Führungskräfte ist genau das die wichtigste Aufgabe. Empathie wird somit auf der einen Seite wichtiger, auf der anderen Seite werden unsere empathischen Fähigkeiten aber auch geschult – durch viele unterschiedliche Blickwinkel.
- Wenn wir die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft schaffen wollen, muss das in unser aller Herzen beginnen. Ohne Empathie stellen wir uns die richtigen Fragen erst gar nicht: Wie wird es meinen Enkeln gehen? Wie wird es Menschen in stärker vom Klimawandel betroffenen Ländern gehen, wenn sich nichts ändert? Empathie hilft dabei sich die Auswirkungen des eigenen Handels bewusst zu machen – und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Denn wahre Transformation beginnt bei uns.
- Die Zukunft liegt auch in den Händen der Generationen Y und Z. Damit geht ein weitreichender Wertewandel einher. Statt Status und Geld legen die Nachwuchskräfte von heute und morgen mehr Wert auf Selbstverwirklichung und Sinnstiftung. Auswirkung hat das auch auf die Anforderungen an den eigenen Arbeitsplatz – flachere Hierarchien, gute Arbeitsatmosphäre und Zusammenarbeit im Team gehören laut Studie vom Zukunftsinstitut ebenso zu den wichtigsten Charakteristika eines guten Jobs. Nachdem die Devise früher „people follow jobs“ lautete, ist es heute umgekehrt. Unternehmen sind in der Pflicht, die richtigen Bedingungen, das richtige Klima bereitzustellen. Das impliziert vor allem softe Arbeitsbedingungen. Nicht umsonst erfreuen sich zum Beispiel auch Feelgood-Manager als Experten für gute Atmosphäre am Arbeitsplatz immer größerer Beliebtheit.
- Die Bereitschaft, sich einzubringen, war dabei laut der Studie nie höher. Als Führungskraft ist da Empathie gefragt, um die Potenziale der Mitarbeitenden zu erkennen und zu fördern. Wirklich gute Leute suchen sich Unternehmen, in denen sie als Mensch mit allen Stärken und Schwächen gesehen werden.
Was Empathie mit Wertschätzung zu tun hat
Fehlende Wertschätzung ist einer der Top-Gründe, warum Arbeitnehmende sich unzufrieden mit ihrem Job fühlen. Klar ist auch: Wer unzufrieden ist, arbeitet unproduktiver und unmotivierter. Es ist zudem eine uralte Grundveranlagung in uns Menschen, Zugehörigkeit empfinden zu wollen. Schlechte Stimmung am Arbeitsplatz und ein Chef, der mich wie eine Maschine behandelt, sind da nicht gerade förderlich.
Von Interesse ist es also, zu wissen, wie man das verhindern kann. Und nein, die unpersönliche Massen-Danke-Mail reicht dafür nicht. Wir Menschen haben sensible Antennen dafür, wann etwas wirklich vom Herzen, also aus Überzeugung kommt. Wertschätzung und Empathie von und für die Belange von Mitarbeitenden sind die Kern-Qualifikationen, um in einem starken Team zu arbeiten und erfüllend und langfristig erfolgreich zu arbeiten. Empathie ist dabei die Qualität, die wir als Menschen brauchen, um uns wertgeschätzt zu fühlen. Nur dann können wir motiviert und produktiv arbeiten.
Starke Führungskräfte sind also die, die aus sich heraus und mit voller Überzeugung empathisch sind, sich in die Gefühlslage von Mitarbeitenden reinfühlen können, wirkliche Dankbarkeit empfinden und ihre Wertschätzung so authentisch zum Ausdruck bringen können.
Das Gute: Empathie ist etwas, das jeder von uns in sich hat. Oft sind es vor allem schlechte Angewohnheiten, die uns davon abhalten, empathisch gegenüber anderen Menschen zu sein. Der Psychologe Nick Wignall hat daher fünf schlechte Angewohnheiten identifiziert, derer wir uns bewusst machen sollen. Stellen wir diese auch noch ab, fällt es uns automatisch leichter, empathisch zu sein.
Wie man empathischer wird, indem man schlechte Angewohnheiten abstellt
1. Passives Zuhören
Jeder kennt’s: Manchmal reden wir mit anderen Menschen, aber hören denen gar nicht wirklich zu. Oft konzentrieren wir uns auch nicht darauf, was der andere sagt, sondern was wir selbst als nächstes sagen wollen. Was der andere sagt, bekommen wir so nur maximal auf halbem Ohr mit.
Vielleicht denken wir sogar über ganz andere Dinge nach: Was esse ich heute Abend? Schwitzt der nicht in seinem Hemd? In Online-Meetings wird das sogar noch mal auf die Spitze getrieben und wir beantworten nebenbei Mails oder checken unser Handy.
Summa summarum: Wir hören nicht wirklich zu. Wie wollen wir uns so in den anderen hineinversetzen, wie seine Ziele, Wünsche, Probleme, Stärken und Schwächen erkennen und ihn unterstützen? Daher: schenk deinem Gegenüber deine Aufmerksamkeit, wenn ihr euch unterhaltet – höre aktiv zu. Das hat auch etwas mit Respekt zu tun – die Basis für Empathie und Wertschätzung.
Wenn du sprichst, wiederholst du nur, was du bereits weißt. Aber wenn du zuhörst, lernst du vielleicht etwas Neues.
Dalai Lama
Probiere es mal aus und konzentrier dich komplett auf das, was dein Gesprächspartner sagt – es ist schwierig, klar, aber Übung macht wie so oft den Meister. Und falls du dich selbst wieder ertappst, wie du wieder an dein Abendessen denkst, reflektiere es zumindest.
2. Probleme über Personen stellen
Eine weitere Angewohnheit von uns ist, immer die Probleme anderer Menschen lösen zu wollen. Wir fragen uns dabei aber nie: Wollen diese Menschen das überhaupt? Empathisch ist man dann, wenn man genau weiß, wann meine Hilfe als Problemlöser gefragt ist und wann ich einfach mal nur zuhören soll. Manchmal möchte man einfach nur, dass jemand für einen da ist, Verständnis zeigt und/oder sich einfach nicht alleine mit einem Problem fühlen. Oft weiß man des Rätsels Lösung ja ohnehin schon selbst. Stellt man immer die Probleme über die Person, fühlt sich diese Person mehr als Problem statt als Teil der Lösung.
Keine Frage, im Job und gerade als Führungskraft gibt es viele Situationen, wo man als Problemlöser gefragt ist – aber das längst nicht immer.
Die Fähigkeit, die Welt aus dem Blickwinkel des anderen zu betrachten, ist Schlüssel für erfolgreiche Transformation, gute Zusammenarbeit und wertstiftendes Handeln.
Was man also tun sollte: Hör auf Probleme über Personen zu stellen und fokussier dich auf die Person selbst und was sie wirklich braucht. Nicht immer bist du als Problemlöser gefragt, manchmal auch einfach nur als Zuhörer. Das ist ja eigentlich auch einfacher.
3. Unangenehme Stille vermeiden
Für viele von ist es kaum zu ertragen – mitten im Gespräche herrscht auf einmal eine unangenehme Stille. Eine Stille, die die meisten von uns am liebsten vermeiden. Aber warum eigentlich? Statt diese Stille einfach mal auszuhalten und uns vielleicht auch kurz gegenseitig Raum zum Nachdenken zu geben, stellen wir aus der vermeintlichen Not geborene Fragen oder wechseln hektisch das Thema.
Die Stille stellt keine Fragen, aber sie kann uns auf alles eine Antwort geben.
Ernst Ferstl
Wer diese „unangenehme“ Stille auch mal zulässt, gibt dem Gegenüber nicht nur Raum für den eigenen Gedanken, Gefühle und Probleme, sondern schätzt diesen auch mehr wert. Also: Nächstes Mal lässt du diese Stille einfach mal zu und wartest ab, was passiert. Vielleicht wird es dich überraschen.
4. Gefühle als Probleme behandeln
Im Grunde genommen unterscheidet sich dieser Punkt nur leicht vom Zweiten. Wenn man immer versucht, das zu tun – gerade auch als Chef, der ja schon qua Berufsbeschreibung Problemlöser ist – dann gibt man dem Gegenüber das Gefühl, dass es nicht okay ist, sich so zu fühlen. Aber das Gegenteil sollte der Fall sein: Jedem Menschen geht es mal besser und mal schlechter – warum sollte das am Arbeitsplatz anders sein? Warum muss es teilweise Mut erfordern, am eigenen Arbeitsplatz Gefühle zu zeigen und zu offenbaren? Das kann sehr belastend sein.
Es gibt Fälle, wo vernünftig sein, feige sein heißt.
Marie von Ebner-Eschenbach
Damit Gefühle am Arbeitsplatz normaler werden, sollten wir eben nicht immer sofort das vermeintliche Problem lösen wollen, wenn es jemanden schlecht geht – damit der ja nicht mehr „rumjammert“. Viel besser wäre es, die Gefühle anzuerkennen und zu zeigen, dass die auch mal okay sind. Für die eigenen Emotionen kann man schließlich nichts.
5. Die eigenen Emotionen ignorieren
Wer die eigenen Emotionen nicht versteht, der kann auch die Emotionen anderer Menschen nicht verstehen. Leuchtet ein, oder? Wir sind alle Menschen und haben eines gemeinsam: Wir haben Gefühle. Unterschiedlich ist allerdings dabei vor allem der Umgang mit diesen. Im Job vs. zuhause – unter Freunden oder Fremden. Dabei ist es sehr wichtig, die eigenen Gefühle, das eigene Handeln zu verstehen. Sonst kann man die Gefühle anderer auch nicht verstehen. Führen heißt immer auch selbst führen.
Du musst eins sein mit deinen Emotionen, denn der Körper folgt immer dem Geist.
Bruce Lee
Es ist auch nicht damit getan, andere Menschen zu ermutigen, ihre Gefühle am Arbeitsplatz zu zeigen. Auch ich selbst – und da sind gerade Führungskräfte angesprochen – muss mich trauen, offensiv mit meinen Gefühlen umzugehen. Offen zu zweifeln, offen Ängste anzusprechen, Schwäche zuzulassen. Erst dann kann man auch als empathisch wahrgenommen werden.
Darüber hinaus ist es eine hohe Form der Wertschätzung, wenn ich anderen meine Gefühle offenbare. Es stärkt so nicht nur das Gefühl der Zusammengehörigkeit, sondern auch die Basis des menschlichen Zusammenlebens und -arbeitens: das Vertrauen untereinander.
Darum ist Empathie ein Must-Have für Führungskräfte
Zusammengefasst: Man muss Empathie gar nicht lernen – wir alle haben die Veranlagung dazu. Es hilft schon, wenn wir uns bewusst machen und reflektieren, wie wir mit anderen sprechen. Denn nur über das Gespräch kann man wirklich empathisch sein – und nicht nur Verständnis, sondern auch Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Genau das wird entscheidend sein, wenn man erfolgreich sein möchte. Also tun wir gut daran, Empathie und auch Wertschätzung als genauso wichtige Qualitäten zu sehen, wie lesen und schreiben! Denn sie sind weit mehr als nur Nice-to-Have.
Wie schnell sich die Zeiten ändern können, hat ja auch der Heimtrainer gezeigt. In Zeiten von Dauer-Lockdown wurde der für viele mal ganz schnell zum Must-Have.