„Lass mich das machen – du kannst das überhaupt nicht! Ohne mich läuft hier rein gar nichts! Du musst noch eine Menge lernen! Deine Arbeit ist schlampig!“ Dies sind nur einige Aussagen, die eine narzisstische Führungskraft gerne äußert. Doch es müssen nicht immer nur knallharte Worte und Beleidigungen sein, auch abschätzende Blicke oder das klassische Alpha-Leader Verhalten sind typische Anzeichen eines Narzissten. Doch schauen wir genauer hin.
Was zeichnet eine narzisstische Führungskraft aus?
-> Sie bedient sich einer phänomenalen Selbstdarstellung
-> Sie besitzt ein überhöhtes Selbstwertgefühl mit starker Ich-Bezogenheit
-> Sie agiert dominant, voller Selbstvertrauen und denkt „groß“
-> Sie ist erfolgsorientiert, packt zu und verwirklicht Ideen und Projekte gegen alle Widerstände
Grundsätzlich sind diese Merkmale in geringer Ausprägung nicht negativ, jedoch kann dieses Verhalten eine toxische Wirkung entfalten, wenn es taktisch, manipulativ und ausschließlich zum eigenen Vorteil eingesetzt wird. Allgemein haben diese Personen eine einzigartige Anziehungskraft und Charisma, oder wer würde sagen, dass Steve Jobs nicht brillant war? Dieses Charisma verhilft ihnen im Job aufzusteigen, denn meistens belohnen Unternehmen dieses Verhalten. Außerdem wird dieses Charisma ebenfalls genutzt, um ein Team aus „Fans“ oder Ja-Sagern um sich zu scharen, damit der täglichen Bewunderung nichts im Wege steht.
Worin liegt jetzt das Problem?
Die knappe Antwort: im toxischen Arbeitsklima. Denn Kritik, oder allein das Hinterfragen der Meinung, ist ein absolutes No-Go für den Narzissten. Besonders aus Reihen seines eigenens Teams kann die Kritik dazu führen auf der schwarzen Liste der Führungskraft zu landen und ignoriert, gedemütigt und schikaniert zu werden. Hinzu kommt ein rücksichtsloses Verhalten mit geringer Empathie und der Beanspruchung des alleinigen Erfolges. Schnell kann dies im Team zu Demotivation, Depression und Burn-out führen.
Besonders dann, wenn weder die einzelnen Teammitglieder, noch der Narzisst gut performen, kommt es zu manipulativen und vertuschenden Verhalten, damit das eigene idealisierte Selbstbild des Narzissten vor der Welt nicht zerstört wird. Fehler werden unter den Teppich gekehrt, Lügen werden erzählt und einem Betrug steht nichts im Wege. Außerdem werden nicht die Erfolge des Unternehmens angestrebt, sondern ausschließlich des persönlichen Erfolges wird mit allen Mitteln und Wegen vorangetrieben.
All diese Verhaltensweisen gefährden das Unternehmen, da Mitarbeitende kündigen und Betrug und Fehler nicht auffallen. Weltweit beträgt der Verlust, den Unternehmen 2019 durch betrügerisches Verhalten erlitten haben, bei 42 Milliarden US-Dollar. Zwar nicht ausschließlich durch narzisstische Führungskräfte, doch diese spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie denken vermutlich: Bestimmt sind Narzissten in Führungspositionen eine Seltenheit. Weit gefehlt.
Haben wir in Deutschland ein Narzissmus-Problem?
Grundsätzlich liegt Deutschland im Durchschnitt mit moderaten Narzissmus-Werten, jedoch ist Narzissmus gerade in den deutschen Führungsetagen weit verbreitet. Dies fand eine Studie von Victoria Berg und ihrem Team heraus. Hier kommt ein kurzer Steckbrief der Studie:
- Von Mai bis November 2020 wurden 9918 Personen in Deutschland befragt – darunter 2500 Führungskräfte
- Die Befragten bestehen zu 50 % aus männlichen Probanden und 50 % weiblichen Personen
- Verwendet wurde ein für den Unternehmenskontext angemessenen Fragebogen zur Selbsteinschätzung der eigenen Narzissmuswerte
- Hinzu kam ein KI-gestützter Algorithmus, der die ausformulierten Antworten der Probanden auf offene Fragen mittels Textanalyse auf die Ausprägung des Narzissmus analysierte
- Grundsätzlich korreliert Narzissmus besonders stark mit Alter und Geschlecht, dies bedeutet, dass diese Faktoren miteinander zusammenhängen
- Ergebnisse:
- Männer sind tendenziell narzisstischer als Frauen
- Jüngere Erwachsene sind narzisstischer als ältere à dieses nennen die Forscher „das Jungbullenphänomen“
- Der Narzissmuswert steigt im Gleichschritt mit der Karriereleiter à der Sprung der Werte zwischen Angestellten und Führungskräften ist immens
Erstaunlicherweise sind nicht die älteren Generationen das Problem, sondern die Millenials – also die derzeitig 25-35-Jährigen. Ein Blick in die heutige Gesellschaft und die Medien bestätigt dieses Ergebnis. Selbstoptimierung, hohe Leistungsbereitschaft und eine perfekte Selbstdarstellung machen erfolgreiche Menschen aus. Und je erfolgreicher eine Person im Job wird, desto höher klettern die Narzissmuswerte. Wenn die Führungskollegen ebenfalls narzisstische Tendenzen aufweisen, wird das Verhalten gegenseitig gestärkt und es entsteht ein elitärer Kreis, der sich für besser hält und keinen Bedarf einer Veränderung sieht.
Was können Unternehmen tun, um dieses Problem zu lösen?
- Narzissmus als Bewerbungskriterium einführen
Um nicht vom Charisma geblendet zu werden, sollte bei einem Assessment auch die Ausprägung des Narzissmus abgefragt werden. Dabei kann ein Fragebogen mit Fragen zur Selbsteinschätzung dienen oder es können im persönlichen Interview situative Fragen gestellt werden. Bei diesen wird der Bewerbende immer wieder nach Erfolgen und Erfahrungen gefragt. Sollte dabei ausschließlich die eigene Person genannt werden und keinerlei Misserfolge vorliegen, ist dies ein Indiz für einen höheren Narzissmuswert.
2. Gute Führungsvorbilder finden und ausbilden
Gerade junge und mittlere Führungskräfte schauen sich erfolgsversprechendes Verhalten bei dem Top-Management ab. An diesem Punkt sollte man ansetzen, indem man diese schult gutes und schlechtes Führungsverhalten zu erkennen, so dass sie sich geeignete Vorbilder suchen können. Wichtig ist zu vermitteln, dass kein rücksichtloser und manipulierender Einzelgänger befördert wird, sondern das andere Werte wie die Vermittlung von psychologischer Sicherheit, emotionale Kompetenzen und ein Betrachten auf Augenhöhe wichtig sind.
3. Regelmäßiges Feedback geben
Ein Narzisst verliert den Wind aus den Segeln, wenn ihm regelmäßig sein nicht adäquates Verhalten aufgezeigt wird. Jeder Angriff auf seine eigene Grandiosität, ist ein Worst-Case-Szenario für diesen. Hilfreich ist besonders das 360 Grad Feedback, bei dem sowohl die Führungskraft des Narzissten, die Kollegen und die Mitarbeitenden eine Beurteilung abgeben. Mit diesem kann am besten das toxische Verhalten entlarven und aufgezeigt werden.
4. Die richtige Team- und Unternehmenskultur schaffen
Eine Unternehmenskultur ist die Summe der gelebten Gewohnheiten. Es sollen die Fragen geklärt werden: Welche Werte möchte man vertreten? Wie will man die eigene Kultur und Zusammenarbeit gestalten? Werte sollten klar definiert werden, wie z.B. Authentizität und ein starker Teamzusammenhalt. Genauso sollte Regeln der Zusammenarbeit aufgeschrieben werden, wie ein eins kooperativer und sich gegenseitig unterstützender Umgang untereinander. Wer sich genau zu diesem Verhalten und Werten verpflichtet, kann dem Narzissten die Bühne zur Selbstdarstellung nehmen, denn es wird nicht mehr ein Einziger bewundert, sondern es ist das Team was zählt.
5. Mehr Frauen in Führungspositionen
Dieser Tipp ist nicht die EINE Lösung und es sollten jetzt nicht nur Frauen befördert werden. Dennoch kann es als Teil einer möglichen Lösung betrachtet werden. Frauen weisen generell und auch, wenn sie Top-Management Positionen besetzen, geringere Narzissmuswerte als Männer auf. Mit mehr Frauen in der Führungsetagen könnte der Narzissmus in Führungsebenen zumindest graduell verbessert werden.
Diese Tipps sind grobe Handlungsempfehlungen für Unternehmen. Wenn du akut betroffen bist, fragst du dich bestimmt:
Was genau kann man als Betroffener tun?
Das Allerwichtigste ist herauszufinden, ob man es hier mit Narzissmus zu tun hat. Als Mitarbeitender sollte man sich über Narzissmus in der Führungsetage informieren und analysieren, ob hier narzisstisches Verhalten in einer manipulativen Weise vorliegt. Durch die Bewusstwerdung kann man anders agieren und ein wichtiger Tipp ist es, den Fehler nicht mehr bei sich selbst zu suchen. Oft tendiert man dazu, sich zu fragen, was man falsch macht, warum man beim Vorgesetzten nie eine gute Leistung erbringen kann. Es liegt nicht an einem selbst, sondern daran, dass der Narzisst manipuliert und rücksichtlos handelt.
Ein zweiter Tipp ist es, mutig zu sein und zu zeigen, dass man nicht der Spielball ist. Manipulierendes Verhalten kann man nicht mit manipulierendem Verhalten besiegen – dabei entsteht nur ein Teufelskreis. Man sollte die Spirale durchbrechen und zeigen, dass andere Methoden wie Teamzusammenhalt zum Erfolg führen und kein rücksichtloses Einzelgängerverhalten.
Der dritte Tipp ist „Love it, Change it or Leave it“. Das Verhalten lieben lernen ist kontraproduktiv, es zu verändern ist ein Versuch wert. Dabei ist es wichtig abzuwägen, wie viel Energie man darin investieren muss – ist es machbar die Situation zu verändern, oder würde es zu viele eigene Ressourcen kosten. Falls Letzteres, ist die einzige und letzte Option das Unternehmen zu verlassen. Dieser Schritt erscheint schwer und drastisch, aber die eigene mentale und emotionale Gesundheit steht an oberster Stelle.
Darum ist das Thema Narzissmus in der Führung relevant
Zusammengefasst: Narzissmus ist keine Seltenheit und besonders in den deutschen Führungsetagen weit verbreitet. Besonders das manipulative Verhalten führt zu einem toxischen Arbeitsklima und damit zu einer großen Belastung des gesamten Teams. Nur gemeinsam können wir eine Änderung bewirken und Narzissten von den Führungsetagen, also dort, wo sie richtig gefährlich werden können, fern halten! Damit aus einem „Lass mich das machen, du kannst das nicht“ ein „Mach du das ruhig, ich traue dir das zu“ wird.